Das Leben von Dr. Dr. h.c. August Gansser-Burckhardt

(Gründer des VESLIC)

 

Dr Gansser

 

 

Geboren wurde er am 16. März 1876 als ältester Sohn von August Gansser und Margareta geb. Weitnauer in Mailand. Dort verbrachte er zusammen mit seinen zwei Brüdern die frühen, glücklichen Jugendjahre. Sein Vater baute in Mailand als Kaufmann mit den Herren Robert Lepetit und Albert Dollfus ein Fabrikationsunternehmen für Gerbstoffprodukte auf, das später die Firma LEDOGA und die heutige SILVA-LEDOGA wurde; ihr hielt der Verstorbene bis zu seinem Tod, zuletzt als Präsident des Verwaltungsrates, die Treue.

 

Zur Vorbereitung und zum Abschluss der Matur kam er nach Basel. Dann wandte er sich am Polytechnikum der ETH in Zürich dem Studium der Chemie zu und schloss 1900 mit dem Doktortitel sein Studium ab. Nach Aufenthalten in Luxemburg und England, wo er in London das Gerbermeisterpatent erwarb, kehrte er nach Italien zurück und übernahm während zwölf Jahren die Leitung der Gerbstoffabrik in Garessio und anschließend für zwei Jahre jene der Fabrik in Fiume und wurde bald zu einem Lederchemiker von internationaler Geltung. Damals erschien auch sein «Manuale del Conciatore», welches in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Er verfasste es zusammen mit dem tschechischen Ingenieur Josef Jettmar. Als deutsche Ausgabe erschien es 1920 als „Taschenbuch des Gerbers“ und diente in den Jahrzehnten später als Vorlage für viele weitere Veröffentlichungen.

 

Seinen geliebten Vater verlor er schon 1909.

 

Im Ersten Weltkrieg diente er als Artilleriehauptmann und Brigadeadjudant, fand aber auch gelegentlich während der Grenzbesetzung seinen Weg nach Mailand und war in der Krisenzeit nach 1918 unerschrocken und auf Milderung der Gegensätze bedacht. In Mailand begegnete er 1916 der ihm von früher bekannten Lola Burckhardt, mit deren Familie die seine im Kreise der Mailänder Schweizerkolonie seit langem befreundet war. Sie heirateten im Dezember 1916. Im folgenden Jahr übersiedelten sie nach Basel und begründeten an der Grellingerstrasse 77 ein gastfreundliches Haus, in welchem Geist und Fröhlichkeit herrschten und die Axt des Hausherrn häufig den Zimmermann, seine Hacke den Gärtner, sein Pinsel den Maler sparte. In der anregenden Harmonie dieses Hauses wuchsen zur Freude der Eltern der Sohn und die zwei Töchter auf.

 

Im ehemaligen Stallgebäude im hinteren Gartenteil richtete Dr. August Gansser seine Arbeitsklause und ein Laboratorium ein; eine Stätte ehrfürchtigen Wunderns für die Kinder und Grosskinder, wenn sie sie betreten durften. Dort verfasste er mit seiner schönen Schrift seine weitverzweigte Korrespondenz, seine Vorträge und Publikationen, etwa über die Dasselfliege oder über archäologische Lederfunde.

 

In diesem stillen Arbeitszimmer bereitete er die Sitzungen und Kongresse der zahlreichen in- und ausländischen Kommissionen und Verbände vor, die er zum Teil präsidierte, einige hat er selbst gegründet. Dort arbeitete er auch für den Verein schweizerischer Lederindustrie Chemiker und Techniker VESLIC, welchen er im Jahre 1919 in Luzern im damaligen Hotel Rütli gründete, aber auch für die schweizerische Häuteschädenkommission, als Präsident für den internationalen Verein der Leder­ Industrie-Chemiker SLTC, für die Gesellschaft für kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zu Italien, die archäologischen Gesellschaften; dort erledigte er als Meister zu Gerbern die Zunftgeschäfte; von dort aus leitete er die Bürgerwehr und den schweizerischen vaterländischen Verband den er 1930-1948 präsidierte.

 

Er war aber weit davon entfernt, ein Büro-, Labor- oder Büchermensch zu sein. Dazu war seine Beziehung zu Natur und Leben viel zu unmittelbar, die Lust am Reisen viel zu gross. Jahr für Jahr stieg er noch als Achtziger auf die Üschinenalp, um die Lebensweise der seltenen Dasselfliege beobachten zu können, für deren Bekämpfung er unermüdlich arbeitete. Dank diesen Verdiensten und den interessanten Studien über die Dasselfliege wurde er 1944 zum Ehrendoktor der Universität Bern ernannt.

 

Noch im Jahr vor seinem Tod, 1959 besuchte er in Begleitung seiner Frau seinen Sohn in Mexiko. Die Kulturen der Maya und Azteken faszinierten ihn. Von der Lebhaftigkeit seiner Eindrücke zeugten nicht nur seine bezaubernden Schilderungen, sondern auch die mit Humor und der Klarheit des exakten Beobachters hingeworfenen Skizzen.

 

Seine Samstagnachmittage waren, wenn immer möglich, der Samstagsgesellschaft gewidmet, von der er abends dank seiner lieben Freunde glücklich und angeregt zurückkehrte. In den Jahren, wo die meisten seiner Altersgenossen den Lebensabend in Musse zu verbringen pflegen, wurde ihm das Präsidium des Verwaltungsrates der LEDOGA. der Ziegelei Passavant-Iselin und der Banca del Gottardo anvertraut. Er übernahm diese Chargen zusätzlich zu seiner mannigfaltigen Tätigkeit und unter vollem Einsatz seiner Kräfte, nicht als Sinekure, sondern im Bewusstsein der Verantwortung.

 

Sein nicht alltäglicher Weg zu unserer Gesellschaft ging also über die Naturwissenschaften. Als echter Basler lebte er aber nicht nur in der kultivierten Tradition der Familie, er nahm auch mit Leib und Seele am Zunftleben unserer Stadt teil.

 

Auf einer Zunftfahrt im Jahre 1928 wurde er damals 52 jährig als einziger Gerbereikundiger von Basel in die E.E. Zunft zu Gerbern aufgenommen. Vier Jahre danach, 1934 wurde er durch die Zunftversammlung zum Sechser in den Vorstand gewählt und 1936 zum Statthalter berufen. Als Meister in den Jahren 1950-1959 leitete er die Zunft auf sehr souveräne und konziliante Art bis ins Jahr 1959, ein Jahr vor seinem Ableben im Januar 1960.

 

Schon als Statthalter und vor allem als Meister der Gerbern sowie als Vorsitzender Meister aller Basler Zünfte und Gesellschaften im Jahre 1957-1958, hob er das Zunftleben auf ein Niveau, welches von seinen nachkommenden Meistern und Vorgesetzten nur schwierig aufrecht erhalten werden konnte. Seine Lebenserfahrung und sein reiches Wissen stellte er damals allen zur Verfügung und zeigte neue Aufgaben und Lösungen auf. Er organisierte und präsidierte die Feier zum Erdbeben von Basel im Jahr 1956 und auch die 500-Jahresfeier der Universität Basel.

 

Die Persönlichkeit von Dr. August Gansser hat es verstanden, die vielen Verbindungen als Netzwerker zu nutzen und als echter Diplomat seine Heimatstadt Basel ins Zentrum zu stellen.

 

Die Geschichte seines Gewerbes, der Gerberei, zog ihn immer mehr in ihren Bann. Er interessierte sich für die Uranfänge im Paläolithikum (Frage der Gehirngerbung in der sogenannten Wildkirchlikultur), er beschäftigte sich mit der prähistorischen Rauchgerbung in Gruben (z. B. in der Raurikersiedlung bei der alten Gasfabrik in Basel), er nahm sich mit wahrer Passion der unansehnlichen Leder- und Holzreste an, die 1937-39 beim Bau des Spiegelhofes dem alten Birsigbachbett entnommen wurden, und publizierte sie 1940 in der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte. Dadurch auf den originellen Forscher und seine einzigartigen Kenntnisse aufmerksam gemacht, lud ihn die Gesellschaft Pro Vindonissa in Brugg ein, die seit Jahren magazinierten Ledermaterialien aus dem Schutthügel des römischen Legionslagers zu bearbeiten.

 

In seinem Laboratorium an der Grellingerstrasse präparierte und studierte er Aberhunderte von diesen fast zweitausendjährigen Fragmenten in minutiöser Arbeit mit unendlicher Geduld. Die Frucht war das Buch «Das Leder und seine Verarbeitung im römischen Legionslager Vindonissa », erschienen im Jahre 1942, das seinen Namen in der internationalen Archäologie bekannt machte. Bald war Dr. August Gansser der zuständige Spezialist für historische Lederfunde, dem z. B. die kostbaren Schuhfunde der Amerikaner von Dura Europas anvertraut wurden. Auch zu Vorträgen wurde er ins Ausland, vor allem nach Rom gerufen, wobei ihm zu statten kam, dass er die vier Hauptsprachen Westeuropas fliessend sprach. 1950/51 hielt er an der Universität Basel einen Kurs über die Konservierung und Beurteilung historischer Leder, der von Museumspräparatoren und Archäologen besucht wurde. Dr. August Gansser bearbeitete auch andere technische Probleme in historischer Sicht, z.B. die Verwendung der Albumine im Bauwesen und Gewerbe alter Zeiten.

 

Lebhaften Anteil nahm er an der Erforschung von Augusta Raurica. Von 1951 bis zu seinem Tode war er Vorstandsmitglied dieser Gesellschaft. Als Nachfolger von Prof. Dr. F. Stähelin wurde er 1951 zum Vorsteher der Stiftung Pro Augusta Raurica ernannt, die unter seiner gewandten und gewinnenden Leitung eine immer grössere Tätigkeit entfaltete. Höhepunkte dieser Zeit bildeten die Eröffnung des von Herrn Dr. Rene Clavel gestifteten Römerhauses In Kaiseraugst im April 1955, die er mit einer humorvollen Ansprache würzte, und die Basler 2000-Jahr-Feier im Jahre 1957, an der er im römischen Theater zu Augst die von der Stadt Gaeta geschenkte Bronzekopie der Grabinschrift des Lucius Munatius Plancus im Namen der Stadt Basel entgegennehmen durfte. Ein Abbild des Feldherrn und Gründers von Raurica steht heute im Hof des Basler Rathauses.

 

In der Nacht zum 27. Januar 1960 endete jäh das fast 84jährige reiche Leben von Dr. August Gansser, der drei Tage zuvor mitten in seiner unermüdlichen Tätigkeit von einem Schlaganfall getroffen worden war. Der Verstorbene war mit Leib und Seele Basler, ein Basler freilich, der, wo immer er hinkam, - er reiste gerne und viel, - nie lang ein Fremdling blieb. Denn ihm war nicht nur die Sprache vieler Länder, sondern auch die Sprache des Herzens gegeben.

 

Als Abschluss seines Tagebuchs steht folgendes:

 «Wer diese Zeilen liest, mag den Eindruck bekommen: Das war ein Hansdampf in allen Gassen! Mag sein. Aber nicht der Drang nach allen Gassen bewog mich zu vielseitiger Betätigung, sondern lediglich die Überlegung:

Wem es vergönnt ist, ein langes, von Krankheit unbeschwertes Leben zu führen, dem obliegt die Pflicht, so lange zum Wohle des Nächsten tätig zu sein, als es ihm seine Kräfte erlauben, gleichviel welches Gebiet des sozialen Lebens es betreffen möge; freilich lässt sich damit das Sammeln irdischer Güter nicht vereinen!

Aber noch ein anderer Umstand verhalf mir zu dieser vielseitigen Tätigkeit: „Ein schönes Familienleben dank meiner vorbildlichen lieben Frau und den drei wohlgeratenen Kindern, die heute alle glücklich verheiratet sind. - Gott sei gedankt!“

 

 

Dr. August Gansser-Burckhardt war ein typischer und sympathischer Vertreter der hohen Tradition der gut sortierten Basler, deren Kultur, der Sinn für Humor, Höflichkeit und Hingabe an die Wissenschaft.

Aus verschiedenen Unterlagen und Schriften zusammengefasst durch Andreas Hunziker, Schreiber E.E. Zunft zu Gerbern, Präsident VESLIC und Gerber von Beruf